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  • Nacktmulle in der Gemeinschaftskammer im Zoo Zürich.

    Kuscheln gegen Kälte

    Der Nacktmull wird gerne als «hässlich» geschmäht – dabei ist er in jeder Hinsicht ein aussergewöhnliches Tier. Wir verraten, weshalb es sich lohnt, über sein Äusseres hinwegzusehen.

    Der Nacktmull ist aussergewöhnlich. Nicht mehr und nicht weniger. Hier haben wir die lange Liste seiner Einmaligkeiten zusammengetragen. 

    Wechselwarmes Säugetier

    Der Nacktmull ist ein Säugetier – aber wechselwarm wie Amphibien. Sprich: Er kann seine Körpertemperatur nicht selbst regulieren. Das liegt unter anderem daran, dass er weder ein Fell noch eine Fettschicht hat (Wärmeisolation) und ihm ebenso Schweissdrüsen unter der Haut fehlen (Kühlung) – alles wichtige Hilfsmittel zur Körpertemperaturregulierung.

    Der Nacktmull hat deswegen, anders als andere Säugetiere, keine konstante Körpertemperatur. Stattdessen kann er sie seiner Umgebungstemperatur in einem Bereich zwischen 12° und 37° Celsius anpassen.

    Video: Zoo Zürich, Nicole Schnyder

    Wärmen im Pulk

    Gegen Kälte hat der Nacktmull eine besondere Strategie: Bei tiefen Temperaturen kuscheln sich die Tiere eng zusammen – je nach dem gestapelt in Haufen von bis zu 25 Individuen. Reicht das Gruppenkuscheln nicht mehr aus, rennt ein einzelner Nacktmull durch das Röhrensystem seines unterirdischen Zuhauses und heizt so seine Körpertemperatur auf. Danach kuschelt er sich wieder in die Gruppe – quasi als «Wärmflasche».

    Bei uns im Zoo regulieren wir das Klima in der Anlage der Nacktmulle, auf Temperaturen zwischen 25° und 32° Celsius. Frieren müssen die Tiere hier also nie. Auskühlen können sie aber trotzdem. Deshalb lässt sich das Kuschelverhalten der Tiere auch im Zoo beobachten – zum Schrecken mancher Besucher*innen: «Wir haben schon Hinweise besorgter Besucher*innen erhalten, die Nacktmulle seien alle tot. Wir erklären ihnen dann, was es mit dem Massenkuscheln der Tiere auf sich hat», sagt Tierpfleger Marco Brunner.

    Nacktmulle in der Gemeinschaftskammer im Zoo Zürich.

    Alarmiert manchmal die Besucher, ist aber normal: Nacktmulle kuscheln sich gerne in Gruppen zusammen. Bild: Zoo Zürich, Fabio Süess

    Sauerstoff ist optional

    Möglich ist das enge Kuscheln auch dank einer weiteren Spezialität des Nacktmulls: Seine Toleranz für Sauerstoffmangel. Im dichten Wärmepulk bekommen die Nacktmulle mitunter kaum noch Luft. Trotzdem sterben sie nicht.

    Nacktmulle können bis zu 18 Minuten ganz ohne Sauerstoff überleben. Dazu verringern sie ihren Herzschlag und verfallen in eine Art Schockstarre. In diesem Zustand stellen sie den Stoffwechsel um, der dann mit weniger Sauerstoff auskommt – auch dies ist eine einmalige Fähigkeit unter Säugetieren. Ist wieder mehr Sauerstoff verfügbar, kommt auch der Kreislauf wieder in Schwung.

    Diese spezielle Fähigkeit ermöglicht dem Nacktmull auch das Leben in seinen unterirdischen, mehreren Kilometer langen Höhlensystemen. Der CO2-Gehalt in dieser Umgebung erreicht eine Konzentration, die für Menschen tödlich wäre.

    Nacktmulle in der Gemeinschaftskammer im Zoo Zürich.

    Berührungen sind für Nacktmulle lebenswichtig. Auf sich allein gestellt, könnte ein Nacktmull nicht überleben. Bild: Zoo Zürich, Fabio Süess

    Leben im Staat

    Auch in ihrer Sozialstruktur sind Nacktmulle innerhalb der Säugetiere einzigartig. Sie leben – ähnliche wie Bienen oder Ameisen – in einem organisierten Staat mit einer Königin als Oberhaupt. Jedes Tier hat eine bestimmte Funktion und Aufgabe. So gibt es etwa Wächter, Ammen, Arbeiter oder auch Nahrungsbeschaffer.

    Nacktmulle im Zoo Zürich.

    Schönheit liegt im Auge des Betrachters: Der Nacktmull sieht für das menschliche Auge etwas gewöhnungsbedürftig aus, ist aber von Kopf bis Fuss hervorragend an seinen Lebensraum angepasst. Bild: Zoo Zürich, Fabio Süess

    Embryos in Reih und Glied

    Der Nacktmull-Staat bei uns im Zoo umfasst derzeit 35 Tiere. Nachwuchs der Königin gab es zuletzt vor 5 Monaten. Ein Wurf umfasst bis zu 28 Jungtiere.

    Weil es im Tunnelsystem nur bedingt Platz gibt, ist die Königin länger als ihre Artgenossen. Forschende nennen es das «Schulbus-System»: Die Ungeborenen sind im Körper der Königin nacheinander angeordnet, wie in einem Schulbus.

    Ihre spezielle Körperform nimmt das Nacktmull-Weibchen erst dann an, wenn es zur Königin mutiert. Alle Königinnen waren einst Arbeiterinnen.

    Nacktmull im Zoo Zürich.

    Das Röhren- und Kammersystem der Nacktmulle ist klar strukturiert. Futter gibt es nur in den Futterkammern. Bild: Zoo Zürich, Fabio Süess

    Perfekt organisiert

    Klar organisiert ist nicht nur das Zusammenleben des Nacktmulls, sondern auch sein Röhren-/Kammersystem. Es gibt eine Latrine – übrigens immer eine Sackgasse, um Durchgangsverkehr zu vermeiden – eine Futterkammer, einen Materialraum und mehrere Gemeinschaftskammern. Ebenfalls variieren die Temperaturen in den verschiedenen Kammern, so dass die Tiere je nach Bedarf wählen können.

    Nacktmull im Zoo Zürich.

    Der Nacktmull nutzt seine grossen Zähne zum Graben. Sie liegen ausserhalb der Lippen. So kann er diese während des Grabens geschlossen halten und behält damit ein sauberes Maul. Bild: Zoo Zürich, Fabio Süess

    Nachhaltig beim Essen

    Der Nacktmull ernährt sich mehrheitlich von Wurzeln. Das macht er in einer nachhaltigen Art und Weise, von der der Mensch noch lernen könnte. So knabbert der Nacktmull die Wurzeln zwar von unten an – aber immer nur in einem Ausmass, dass die Pflanze nicht zu stark geschädigt wird und vollständig abstirbt. Verirrt sich ein Insekt ins Höhlensystem, gönnt sich der Nacktmull dieses als willkommenen Protein-Snack.

    Aufs Trinken verzichtet der Nacktmull gänzlich. Er deckt seinen Flüssigkeitsbedarf ausschliesslich über die Nahrung.

    Nacktmull-Anlage (Frontansicht) im Zoo Zürich.

    Einblick dank Fenstern: Die Nacktmull-Anlage im Zoo ermöglicht den Besucher*innen den Blick in die verschiedenen Kammern. Bild: Zoo Zürich, Fabio Süess

    Durchdacht bis ins Detail

    Nacktmulle können vorwärts wie rückwärts gleichschnell laufen. Ihre riesigen Zähne nutzen sie als Grabwerkzeuge; die Lippen befinden sich hinter den Zähnen, so dass sie diese beim Graben verschliessen können.

    Und trotz seines Namens ist der Nacktmull nicht vollständig nackt. Auf seiner Haut befinden sich kleine Tasthaare. Mit ihnen kann er seine Umgebung quasi erfühlen – denn der Nacktmull ist fast vollständig blind.

    Nacktmull-Anlage (Hintergrund) im Zoo Zürich.

    Blick von hinten: Die Nacktmull-Anlage auf der rückwärtigen Seite. Bild: Zoo Zürich, Fabio Süess

    Wunderwerk der Evolution

    Nicht zuletzt ist der Nacktmull eine Art Superheld der Evolution. Er kann bis zu 30 Jahre alt werden – ein geradezu biblisches Alter für einen Nager. Der Nacktmull erkrankt quasi nie an Krebs und altert kaum. Das macht ihn auch für die Forschung sehr interessant.

    In der Natur kommt der Nacktmull vor allem in den trockenen Halbwüsten Ostafrikas vor. Sein Vorkommen erstreckt sich über weite Teile Somalias, Teile von Äthiopien und den Norden und Osten Kenias. Dort können die unterirdischen Kolonien bis zu 300 Tiere zählen.

    Nacktmull-Anlage (Hintergrund) im Zoo Zürich.

    Reger Verkehr: Nacktmulle können gleich schnell vorwärts wie rückwärts laufen. Bild: Zoo Zürich, Fabio Süess